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Mit einem Interview wollen wir Ihnen einen Einblick in ComTeams Entwicklungsarbeit an der Unternehmenskultur gewähren. Wer könnte dies besser erfüllen als Walter Straub (ComTeam Gründer und lebende Kulturkompetenz) und Lorenz Forchhammer (ComTeam Urgestein und wandelnde Innovationskraft).
Mit ein paar Fragen haben wir die beiden eingeladen, in die Vergangenheit zu blicken, das Thema Kultur zu beleuchten und die Entwicklung der Kulturarbeit zu reflektieren.
1. Ihr beide seid ja schon lang am Thema Kulturentwicklung dran. Wenn Ihr an die „Anfänge“ denkt, was kommt Euch da in den Sinn?
WALTER: Schon meine ersten Gruppensitzungen oder meine Mitwirkung in Projekten nach dem Studium offenbarten bereits, dass die Hauptschwierigkeiten für die Erarbeitung von Lösungen wohl „unter Wasser“ lagen. Das Eisberg-Modell (Sach- / Emotionale-Ebene) war damals fast eine Offenbarung, manche Workshop-Teilnehmer erleben das ja noch heute so.
Bei den sich entwickelnden neuen Bearbeitungsformen waren jedoch die individuellen Ansätze (der Einzelne muss etwas lernen, etwas „besser“ machen) in den 1960 / 1970 im Vordergrund. Erste neue Blickwinkel und Methoden entstanden durch Übertragungen aus den Therapie-Ansätzen (Humanistische Psychologie). Zum Beispiel: TZI-Modell von Ruth Cohn oder das TA-Modell von Eric Berne waren damals am leichtesten in die Arbeitswelt zu integrieren.
Aus diesen und ähnlichen Ansätzen haben wir „Tauch-Instrumente“ zur (Unterwasser-)Bearbeitung von emotionalen und Gruppenphänomenen entwickeln müssen. Dabei haben unsere ständigen Erfahrungen mit schwierigen Situationen immer weitere Vorgehensweisen entstehen lassen.
LORENZ: Ich kann mich an keine Zeit bei ComTeam erinnern, in der „Kultur“ nicht ein wichtiges Begleitthema zu den Projekten war. Schon in unserem ersten Buch „Bereit zur Veränderung?“ Anfang der neunziger Jahre haben wir Kulturfelder beschrieben als „Bühnen“, auf denen sich Kultur zeigt, und zwar förderlich oder hinderlich für angestrebte Veränderungen. Wir haben auch immer versucht Wege aufzuzeigen, wie man Kulturphänomene adressieren, besprechen und weiterentwickeln kann. Doch anfangs war es nicht so leicht, den Zusammenhang von Kultur und Performance klar und „logisch“ nachvollziehbar zu machen, vor allem nicht für zahlengetriebene Manager. Wie genau das funktioniert, dass Kultur „Sand oder Öl im Getriebe der Organisation“ sein kann, haben wir von Anfang an studiert und sind mit der Zeit immer erfahrener geworden, die Dinge in den richtigen Zusammenhang zu stellen.
2. Wie hat sich die Thematik bei ComTeam, aber auch bei den Kunden über die Jahre verändert?
WALTER: Nahezu ein Quantensprung hat die Systemtheorie (Niklas Luhmann, Paul Watzlawick, Gregory Bateson, Virginia Satir…) in unsere Arbeit mit Einzelnen / Organisationen / Gruppen / Systemen gebracht. Das darauf aufbauende Systemische Denken definierte den Kontext als eine sehr starke Verhaltensbeeinflussung auf die einzelnen Individuen und machte völlig neue Aufmerksamkeiten, Vorgehensweisen und Methoden erforderlich.
So wurde uns dadurch schon in den Achtzigern klar, dass es zum Beispiel bei den Themen: Umgang mit Verbindlichkeit, mit Fehlern, mit Konflikten, mit Lob und Kritik… vor allem um Verhaltensmuster in Gruppen ging und damit sich vor allem die System-Regeln ändern müssten. Es ging also nicht vornehmlich um das Identifizieren des individuellen Lernbedarfs, der – damals wie heute – häufig nur mit Trainingsangeboten „gelöst“ wird.
Aus diesen Themenfeldern (Umgang mit Konflikten, mit Lob und Kritik, mit Verbindlichkeit,…) wurden dann später unsere Kulturfelder, die bis heute Unternehmenskulturen beschreiben helfen.
Wir hatten schon um 2000 die Arbeit an den Kontextregeln entwickelt, klar wurde jedoch sehr schnell, dass die nachhaltigen Veränderungen von Kontextregeln eine häufige Reflexions-Wiederholung bedurften.
Einige Kunden ließen sich denn auch explizit auf eine Kulturentwicklung ein. Der von uns entwickelte Kulturprofil-Indikator wurde dafür bereits von uns verwendet und half vornehmlich bei der Analyse und von den notwendigen und wünschenswerten Ausrichtungszielen.
LORENZ: Vor ziemlich genau zehn Jahren (im Herbst 2005) haben wir Fons Trompenaars’ „Business Across Cultures“ entdeckt, das uns sehr inspiriert hat. Es beschrieb die Konflikte zwischen Business-Kulturen sehr pragmatisch und konkret und hat uns dabei geholfen, die Kulturfelder sehr viel leichter und klarer verständlich zu machen und verschiedene Kulturstile herauszuarbeiten. Das haben wir dann in firmeninternen Programmen für erfahrene Führungskräfte ausgiebig diskutiert und sind immer fundierter zur Beschreibung sogenannter Kulturstile gekommen, die wir Jahre später dann in unserem Tool „Kulturprofil-Indikator“ zusammengefasst haben.
Es entstanden für einen ersten Survey zur Kulturdiagnose 24 Fragen zu Führung, zu Macht, zu Veränderung, zu Anerkennung und Kritik, und zu all den anderen Kulturfeldern. Und diesen Survey haben wir ab 2008 für mehrere große Unternehmen mit jeweils über hundert Führungskräften durchgeführt, um in Veränderungsprojekten einen „Kulturworkshop“ vorzubereiten. Auf diesem wurden dann die gemeinsamen Einschätzungen von IST- und ZIEL-Kulturen diskutiert, und es schälte sich eine zentrale Leitfrage heraus: „Wie zukunftsfähig sind die Gewohnheiten, Gepflogenheiten und Überzeugungen, die heute unser unternehmerisches Handeln leiten? Kommen wir damit mit den Herausforderungen zurecht, oder müssen wir uns weiterentwickeln.“ Da wurde vielen Unternehmen klar, dass sie mit ihren bisherigen Herangehensweisen z.B. keine relevante Innovation hinbekommen, beim Verändern zu langsam sind und mit Globalisierung und Digitalisierung nicht werden Schritt halten können.
3. Hat sich durch den Kulturprofil-Indikator und dem Toolset etwas an der Kulturarbeit geändert?
WALTER: Der Kulturprofil-Indikator wurde einerseits online (mit einem Fragenset) mit allen Führungskräften einer Organisation eingesetzt. Wir haben andererseits auch in Workshop-Formaten auf Plakaten (ohne unsere heutigen Fragen-/Antwort-Quartette) die Ist- und Soll-Kultur beschreiben lassen. Diese ersten Standardisierungsversuche im Vorgehen sorgten damals schon in den Organisationen zu mehr Bereitschaft das Kultur-Thema überhaupt anzugehen.
Mit der Präzisierung und Weiterentwicklung der Fragen/ Antworten zu den verschiedenen Kulturfeldern wurde das weiche „Nebel-Thema Kultur“ für unsere Kunden seriöser und bearbeitungsfähiger. Das Toolset unterstützte die Erkenntnis, dass die Kultur für Organisationen ein wichtiges Erfolgskriterium darstellt.
LORENZ: Bis 2012 gab es die „ComTeam Kulturarbeit“ nur als Vorgehen, als Survey und als Workshopformat. Die Kulturstile haben wir als Diagramm aufs Flipchart gezeichnet und Führungskräfte angeleitet, ihre Ist- und Soll-Kulturprofile mehr oder weniger intuitiv einzutragen. Und dann hatten zwei Kollegen die Idee, das in Form eines „Spielbretts mit Karten“ zu produzieren. So entstanden aus den früheren Surveyfragen in ein paar gründlichen Überarbeitungsrunden die Kartensätze, aus dem Flipchartbild formte sich die bedruckte Spielplatte, und mit elastischen Bändern konnte man darauf die Kulturprofile visualisieren: Es war ein Tool geworden, mit dessen Hilfe Führungskräfte über ihre Gewohnheiten und Gepflogenheiten konkret und pragmatisch reden konnten, und wobei sie sich „auf die Schliche“ kamen, was ihre eigentlich gewollten Veränderungen immer wieder so zäh machte. Damit wurde die Besprechung und Bearbeitung von Unternehmenskultur-Phänomenen auch für technisch oder kaufmännisch oder juristisch ausgebildete Führungskräfte etwas „normales“ und nachvollziehbares geworden – etwa so, wie man von Fitness redet und auch einen ganzen Strauß von Begriffen wie Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit usw. damit meint. Amüsant am Rande war, dass wir in den ersten Jahren peinlich vermieden haben, von einem „Spiel“ zu reden, wenn wir das Tool meinten. Doch dann hat uns einmal ein Dramaturg erklärt, dass Spiel überhaupt nichts Kindisches an sich hat, ganz im Gegenteil: Fußball, Theater, Musik, all das heißt „Spiel“, und ist mit höchster Professionalität und Leidenschaft verbunden. Wenn uns diese nur auch beim Design von Organisationen zur Verfügung stünde!
4. Wie würdet Ihr „kult:agil“ – den agilen Kulturprozess von ComTeam – einordnen und was versprecht ihr Euch von der Zukunft?
WALTER: Für die Transparenz über die Ist-Kultur und für die gemeinsame Entwicklung der Soll-Kultur wurde unser Toolset als sehr hilfreich empfunden, uns fehlte jedoch noch ein standardisierter Prozess für die Umsetzung. Wir empfohlen unseren Kunden zwar, dass sie in ihren regelmäßigen Treffen die jeweiligen Kulturentwicklungsvorhaben stets gemeinsam reflektieren sollten – das war doch eindeutig zu wenig verbindlich / standardisiert und hat deshalb auch wohl eher zufällig stattgefunden.
Der jetzt vorhandene konkrete Umsetzungsprozess (kult:agil) mit all seinen konzipierten Schritten, erzeugt die vorher gefehlte Verbindlichkeit. Damit werden gefundene Verhaltenszielsetzungen auch überprüfbar und erreichbar gemacht.
Für Organisationen ist somit auch die Kulturentwicklung aus dem esoterischen, weichen Nebelbereich geholt worden und kann – ähnlich wie harte Ziele – auch nachgehalten und controlled werden.
LORENZ: Der Kulturprofil-Indikator ist ein Diagnosetool, das immer eine Frage hinterlässt: „Und nun?“. Wenn Soll- und Ist-Kultur verschieden sind, braucht man also Wege, die Lücke zu schließen. Dazu haben wir ein Vorgehen entwickelt, das – von der SCRUM-Methodik inspiriert – es möglich macht, die Weiterentwicklungsarbeit im Alltag zu verankern. Das ist wie im Sport, wo auch nur kontinuierliches Training über eine bestimmte Zeit hinweg zu mehr Leistung führt. So kam zum Tool ein Prozess. Und zusätzlich gibt es weitere Wege, sich Kultur zu erschließen, die andere Formate nutzen, als das Diagnosetool. So ist „kult:agil“ entstanden, als Übergriff über verschiedene Methoden, die Unternehmenskultur verständlich und gestaltbar machen.
Von der Zukunft der Kulturarbeit in Unternehmen verspreche ich mir äußerst viel. Denn ohne eine Weiterentwicklung ihrer „Gewohnheiten, Gepflogenheiten und Überzeugungen“ werden viele Unternehmen nicht überleben können. „Cultural Awareness“, also die Kompetenz, das eigene „Wie-wir-die-Dinge-machen“ professionell zu reflektieren, wird ebenso wichtig werden wie „Kapital“ oder „Technologie“. Und Erfahrung ohne Reflexion ist nur Routine, aber kein Fundament für gedeihliche Entwicklung.
5. Was verbindest Du persönlich mit der (agilen) Arbeit an der Unternehmenskultur?
WALTER: Eigentlich wissen wir doch schon lange, dass die weichen Themen mit ihren Beiträgen für die Zufriedenheit der MitarbeiterInnen, der Führungskräfte sowie für eine erfolgreiche Entwicklung von Organisationen Voraussetzung sind. Doch glauben noch immer zu viele Führungskräfte daran, dass die MitarbeiterInnen nur unter Druck und Reglementierung erfolgreich arbeiten.
Immer dann, wenn die Bewerberlisten für Stellenausschreibungen größer sind, als die Stellen-Angebote, „dürfen“ Führungskräfte diese Erkenntnisse ignorieren. Jedoch mit konkreten Vorgehensweisen und nachvollziehbaren Aufmerksamkeiten werden auch diese weichen Themen (Kultur: Regeln der Zusammenarbeit, Anforderungen an die Art der Führung…) gestaltbar und zu managen. Damit sind auch die weichen (also nicht so leicht bearbeitbaren) Themen zu quasi harten (überprüfbaren und planbaren) Erfolgsfaktoren geworden, für die auch Führungskräfte verantwortlich gemacht werden können.
So werden die Bedürfnisse der Mitarbeiter ernster genommen, die definierbaren Anforderungen an Führungskräfte beschreibbar und damit Organisationen letztlich erst erfolgreicher. Eine gute Entwicklung.
LORENZ: Meine Projekte bekommen einen immer existentielleren Charakter, und „culture eats strategy for breakfast (Peter Drucker)“. Es kommt also darauf an, dass sie wirklich funktionieren, weil Arbeitsplätze daran hängen, und manchmal das gesamte Geschäftsmodell.
Darüber hinaus darf ich gerade mit Unternehmern arbeiten, die echt die persönliche Verantwortung spüren und das auch zeigen; das ist für ihre Unternehmen sehr befreiend, denn Kultur wird gerade dort sehr wahrgenommen. Und wenn eine Unternehmensspitze Kulturarbeit und ihre Weiterentwicklung sehr unterstützt und mit Bewusstsein absichtsvoll selber leben, prägen und ausstrahlen will, ist das trotz aller Lernschleifen und Rückschläge ein bewegendes Erlebnis.
Dass wir mit dem Kulturfokus zu relevanten Unternehmensentwicklungsprojekten einen Beitrag leisten können, finde ich persönlich sehr bestätigend und ermutigend. Ich denke aber auch, dass das Konzept der „Agilen Kulturarbeit“ neben Design Thinking (Innovation), neben dem Business Model Canvas (Strategie) und neben SCRUM (Umsetzungsmethodik) eine der vier Säulen der zeitgemäßen Unternehmensentwicklung werden wird.
Vielen Dank für das Interview!
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