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Es ist kurz vor Mittag und ich bin auf der Suche nach einer Kaffeemaschine. Das Bürogebäude meines Kunden hat auf jedem Stockwerk eine kleine Küche mit Tischen und Stühlen und da finde ich auch meinen Kaffee. Die Küche beginnt sich langsam mit Menschen zu füllen. Es wird geredet, viel gelacht und gemeinsam wird das mitgebrachte Essen verzehrt. Die Küche als Ort des vertrauensvollen Netzwerkens und der informellen Kommunikation!
Und ich erinnere mich an das Systemmodell von Stafford Beer. Als Systemtheoretiker interessierte ihn die Frage, was komplexe Organismen lebensfähig macht. Sein Modell vergleicht Organisationen mit dem menschlichen Nervensystem. Fragen wie – wie bezieht das System Informationen von innen und außen, wo werden diese Informationen bearbeitet, wo wird entschieden, wo ausgeführt und wie erfolgt die Regulation des Ganzen – führten zur Erkenntnis der Grundprinzipien für Lebensfähigkeit:
- Das System ist in der Lage, sich selbst zu regulieren, das heißt immer neue interne Bedingungen zu schaffen, um auf Veränderungen in der Außenwelt zu reagieren – es ko-kreiert sich sozusagen kontinuierlich.
- Sich selbst organisierende kleine Einheiten kümmern sich um die erforderlichen dynamischen Anpassungen – schnell, wirksam und selbstkontrolliert.
- Die Entscheidungsträger sorgen für Identität, die nachhaltige Steuerung durch die Entwicklung einer Strategie und die bewusste Gestaltung der erforderlichen Rahmenbedingungen.
- Wirksame Kommunikation, kurze Kommunikationswege und tragfähige Beziehungen in alle Richtungen ermöglichen das notwendige aktive Netzwerken, kurze Entscheidungswege und das schnelle Lösen von Konflikten.
Viele unserer Kunden wünschen sich für ihre Organisation mehr „Lebensfähigkeit“, um schneller und flexibler auf interne Abweichungen oder Veränderungen in der Außenwelt zu reagieren.
Agilität und Selbstorganisation heißen heute die Zauberworte. Und in der Tat eignet sich die Einführung einer agilen Arbeitsweise (z.B. angelehnt an Scrum) in einem Unternehmen hervorragend als Experimentier- und Lernfeld, um in einem kontrollierbaren Rahmen zu erfahren, was Selbstorganisation wirklich bedeutet. Kulturveränderung „by doing“ sozusagen. Dabei werden Führungskräfte und Mitarbeitende gleichermaßen gefordert. Die Delegation von Verantwortung erfordert vom Team ein hohes Maß an Verbindlichkeit (Commitment). Ein sich weitgehend selbst organisierendes Team muss befähigt werden, im Rahmen seiner Aufgabe für Qualität, Integration und Akzeptanz zu sorgen.

Zieldimensionen: Veränderungsarbeit
Ein Team, das sich z.B. spontan zur Lösung eines spezifischen Kundenproblems bildet, das Problem analysiert, Lösungsvorschläge erarbeitet, diese mit den zu beachtenden Rahmenbedingungen (z.B. Compliance Regeln) abgleicht und ohne langen Entscheidungsformalismus zu einer guten Lösung bringt, braucht eine besondere Art der Führung: Mehr ermöglichen als machen, mehr fragen als antworten, mehr zuhören als reden, mehr Rückmeldungen als Ansagen, mehr persönliches Monitoring als formelles Reporting … die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Und genau daran arbeiten wir intensiv mit unseren Kunden auf ihrem Weg zu einer lebensfähigeren Organisation.
Zurück im Besprechungsraum bei meinem Kunden diskutieren wir die nächsten Schritte zur Kulturveränderung im Unternehmen. Meine Beobachtung über die rege Nutzung der Küche wird mit Freude entgegengenommen. Offenbar bestätigt sie eine Entscheidung, die dem Leitungsgremium mit Blick auf die Kosten nicht leicht gefallen ist. Ein Satz lässt mich aufhorchen: „Wir sollten in Zukunft eine solche Entscheidung eigentlich gar nicht mehr auf unserer Ebene treffen.“ Hier scheint ein weiterer kleiner Schritt zu einem lebensfähigeren System gelungen zu sein.
Quelle: BEER, Stafford (1972), Brain of the Firm, The Penguin Press, London.
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