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Wie groß die Macht der Gewohnheit ist, wie schnell wir sie bilden und wann es nötig ist, alle diese Gewohnheiten über Bord zu werfen, wurde mir im diesjährigen Segelurlaub auf ganz besondere Art und Weise deutlich – bisweilen inklusive ausgestandener Ängste.
Gewohnheiten und Rollen in der Gruppe
Nachdem wir unser Segelboot bezogen hatten, zeigte sich bereits nach ein paar wenigen Stunden, wer welche Rolle übernehmen würde. Ebenso, wo vermeintliche Stärken und Schwächen im Team liegen könnten, wer die Führung übernehmen würde und wer für die anderen einstünde. So setzten sich ganz selbstverständlich Dynamiken in Gang, die Zusammenleben und Zusammenarbeiten erleichterten. An Tag zwei auf See zeigten sich feste Routinen – teilweise vom Kapitän geplant und kommuniziert, andererseits auch spontan entstanden. Im Alltag ermöglichen es soziale Gewohnheiten, dass sich standardisierte Interaktionen und in einem weiteren Schritt Normen entwickeln. Sie sagten uns an Bord, was wie gemacht werden darf – und was eben auch nicht.
Ein typischer Tag auf See ist von bestimmten, wiederkehrenden Aufgaben geprägt. Unsere Gewohnheiten waren hier sehr hilfreich und regelten Dinge wie: Wer steuert das Schiff? Wer holt die Segel ein, wer navigiert? Wer führt die Bord-Kasse? Und wann essen wir eigentlich?
Die Schattenseite von Gewohnheiten ist die Beeinträchtigung von Verhaltensänderung. Häufig hält man an Gewohntem fest, obwohl sich Ziele und Absichten geändert haben: Starke Gewohnheiten laufen oft unbeirrt weiter. Wenn sich notwendige Veränderungen anbahnen, kann dieses Festhalten zu schwierigen Situationen führen.
So hielten wir an unseren Gewohnheiten fest – warum auch nicht? Wir waren vollauf zufrieden – und als am letzten Tag sogar noch Delphine unseren Weg kreuzten, waren wir vor Begeisterung völlig aus dem Häuschen.
Der Wind dreht sich – Verhalten verändern
Doch jetzt wurde es spannend mit unseren Gewohnheiten: An diesem Mittag kam eine Schlechtwetterwarnung über Funk an Bord. Der Hinweis war deutlich: In den nächsten fünf Stunden waren starker Wind und Gewitter zu erwarten. Wir hörten die Meldung, doch sie war weit weg – bis auf ein paar sich verdichtende Wolken gab es kaum sichtbare Anzeichen. Und wir fühlten uns pudelwohl in unserer Haut. So gingen wir erstmal nahe einer kleinen Insel schwimmen. Wir blieben bei unseren Gewohnheiten, obwohl sich der Wind geändert hatte.
Und es kam tatsächlich, das Unwetter. Überraschend schnell. Der Wind wurde stärker. Die Wellen höher. Die Temperaturen merklich kühler. Dann: Regen. Jetzt hieß es handeln. Was tun? Zurück zum Hafen, der ca. zwei Stunden weg liegt? An die Küste in einen kleinen Schutzhafen? Oder in der Bucht vor Anker abwarten? Es wurde heftig, Donnergrollen kam auf. Mit dem Donner: die ersten Blitze. Jetzt war unser Kapitän gefragt, schnelle Entscheidungen zu treffen – und einen kühlen Kopf zu behalten.
Im Normalfall brauchen wir mindestens 66 Tage, um alte Gewohnheiten abzulegen oder zu ändern. Viel Geduld – und Zeit, sagt die Psychologin Phillippa Lally vom University College in London. Zeit hatten wir bei unserem Segeltörn, als wir plötzlich vom Unwetter bedroht und es im Team sehr emotional wurde, jedoch nicht. In solchen Situationen müssen liebgewonnene Gewohnheiten schnell über Bord geworfen werden.
Wegweisende Führung ist entscheidend
Es gab also klare Ansagen: Schwimmwesten an. Alle in die Kajüte, die keine Aufgabe an Deck übernahmen. Sicherheitsleinen für die, die auf Deck arbeiteten. Und ab durch den Sturm in Richtung Heimathafen. Die Sicht wurde schlechter und fiel auf unter 10 Meter – dank Dunst und Spritzwasser. Das Navigationsgerät fiel aus, wir befanden uns nahe einer kleinen Inselgruppe. Bestand Gefahr, dass wir auflaufen könnten? In der Kajüte wurde die Stimmung immer angespannter. Was passierte da draußen? Die Blitzeinschläge und das peitschende Wasser waren angsteinflößend. Hatte der Kapitän wirklich alles im Griff? Und warum hatten wir unbedingt noch schwimmen gehen müssen, wo wir wussten, dass ein Gewitter kommen würde? Wir hatten Angst, einige Tränen flossen.
In dieser schwierigen Situation reagierte unser Kapitän vorausschauend und entschied intuitiv, den kürzesten Weg zu nehmen – durch den Sturm – anstelle eines Umwegs. So kamen wir letztendlich gut und sicher durch das Unwetter. Beim Abendessen in unserem Heimathafen, mit festem Boden unter den Füßen, fassten wir zusammen, was unser Kapitän richtig gemacht hatte:
- Er war widerstandsfähig und optimistisch, um die kritische Situation zu überstehen.
- Er sah es als Herausforderung, was bei ihm und der Crew positive Energie freisetzte.
- Er war äußerst anpassungsfähig und wägte minütlich ab, ob eine Kursänderung notwendig war.
- Er nahm den Stress der Passagiere in der Kajüte wahr und kümmerte sich darum.
- Er kommunizierte regelmäßig und klar, wie wir vorankamen, um Angst zu nehmen und Optimismus auszustrahlen.
- Er bestand auf Disziplin und machte zum Beispiel allen klar, dass Schwimmwesten für jedermann Pflicht waren.
Gewohnheit und Veränderung
Unsere Kenntnisse für Veränderungen von Gewohnheiten waren ebenfalls vielfältig und aufschlussreich.
- Wir wussten nun: Verhaltensänderungen werden in Notsituationen schnell und effizient ausgelöst.
- Gebraucht haben wir: Fremd- und/oder Selbstführung mit hoher Willenskraft.
- Das wünschen wir uns (vor allem in solchen Situationen): Teams mit gutem Teamgeist, so dass sich Veränderungen einfacher anpacken lassen.
- Wir waren einsichtig: Wir lernten, unser Gefühl in Zukunft als Navigator für Verhaltensanpassungen zu nutzen, wenn sich neue Situationen durch Umwelteinflüsse oder Personen ankündigen.
- Wir waren einer Meinung: Je öfter man Veränderungen durchläuft, desto einfacher geht man mit ihnen um.
Letztendlich waren wir vereint, als Gruppe gestärkt und kamen zu einem Schluss: Wir wünschen uns Veränderungen, die unterm Strich für alle einen gewinnbringenden Nutzen haben.
Schöne Analogie. Gut beschrieben und analysiert. https://www.pelzerap.de/Ocean_Action_Learning_de.PelzerAP?ActiveID=1551 Wir machen es zum Programm. Lieben Gruß Bernhard Pelzer
Ein wertvoller Beitrag zum Thema Gewohnheiten, Veränderung und Führung. Toll geschrieben Peter. LG Markus