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… von der Bereicherung eines Paradigmenwechsels.
Ein Urteil ausgesprochen ist schnell. Können wir Verhaltensweisen, äußere Erscheinungsbilder oder Haltungen nicht unmittelbar dem uns Bekannten zuordnen, haben wir im Wesentlichen zwei Alternativen: Entweder, wir (ver-) urteilen das Erlebte als anders, seltsam oder gar abstoßend, oder wir schaffen es, offen zu bleiben und die Perspektive des oder der Handelnden einzunehmen.

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Oft geschieht in diesen Momenten Erstaunliches: Wir entdecken, dass die Farbe des Lichts, das auf ein Ereignis fällt, einen fundamentalen Unterschied machen kann. Das geht so weit, dass wir uns in einem Moment furchtbar über jemanden oder etwas aufgeregt haben, um im nächsten inne zu halten und festzustellen: Ja, so herum betrachtet ergibt das Ganze durchaus Sinn.
Einlassen auf das Andere: bis zu welchem Punkt?
Je fremder uns Ansichten, Haltungen, Traditionen, politische Systeme, … hier endet die Aufzählung lange nicht …, desto herausfordernder ist ein Perspektivwechsel. Und selbstverständlich gibt es eine Grenze. Ja, ich kann mich redlich bemühen, die Ängste rechtstendierender Vertreter unserer Gesellschaft nachzuvollziehen. Vielleicht gelingt mir das auch. Verstehen, wie aus diesen Ängsten Hass und Gewaltbereitschaft werden, muss ich deshalb noch nicht. Aber es hilft, es zumindest probiert zu haben. Ich kann dann immer noch für mich beschließen, dass ich meine persönliche „Nachvollziehbarkeitsgrenze“ erreicht habe.
Interkulturell: Was bedeutet das eigentlich?
Und jetzt wird es spannend: Denn was uns im internationalen Arbeitskontext im Gewand der interkulturellen Kommunikation teils explizit vermittelt, sprich in Trainings transparent gemacht wird, trifft wahrscheinlich auch auf unsere Kollegin oder unseren Kollegen zu, die vermeintlich den gleichen kulturellen Hintergrund haben wie wir.
Was heißt das denn jetzt? Nichts anderes, als dass „interkulturell“ eine Frage der Definition ist: Was IST denn eine (Sub-) Kultur, sprich, wo ziehe ich die Grenze? Ist das ein Kontinent, ein Land, eine Region, eine Stadt, ein Dorf, doch nur ein Familienverband …? Was schließen wir daraus? „Interkulturell“ kann ganz schnell da passieren, wo sich Menschen aus zwei verschiedenen Städten desselben Landes treffen – man muss lediglich den zugrunde liegenden Kulturbegriff eng genug fassen.
Und nun sind wir völlig verunsichert, weil wir denken, dass wir irgendwas doch als gegeben nehmen MÜSSEN, um uns nicht im permanenten Überprüfungsmodus unseres eigenen Verhaltens wiederzufinden? Klar. Und klar ist auch, dass kulturelle Unterschiede im täglichen (beruflichen) Tun zwischen mir und der Kollegin aus dem Nachbarort wahrscheinlich wesentlich kleiner sind als zwischen mir und meinem Teamkollegen aus Hanoi.
Was uns hilft, sind relativ unabhängig vom Ausmaß der interkulturellen Unterschiede folgende Haltungen bzw. inneren Beschlüsse:
- Bewusstsein
Es scheint sehr einfach zu sein, erfordert aber kontinuierliches Training für die Bewusstseins-Aktivierung und ein „sich selbst ertappen“. Dazu braucht es … - … Aufmerksamkeit
Sich selbst beobachten und aufmerksam sein in Situationen, in denen wir unbewusst in urteilendes Verhalten rutschen, obwohl die Situation im Außen vielleicht einfach nur außerhalb unseres unmittelbaren Komfort-Bereichs liegt. - Offenheit
Hören und verstehen wollen, was im Gegenüber vorgeht und warum. - Toleranz
Auch wenn nach der Erklärung oder mit meiner offenen Haltung immer noch der Gedanke „seltsamer Kauz“ mitschwingt: Ich muss nicht immer alles verstehen, kann vieles aber einfach so sein lassen, ohne es verurteilen zu müssen. Dabei hilft der Gedanke, dass Menschen in ihrer individuellen Realität oft gute Gründe für ihr Handeln haben. - Neubewertung
Und vielleicht ist es mehr als stehen lassen. Vielleicht kann ich mich auf eine Neubewertung des Erlebten einlassen und feststellen, dass es eine große Bereicherung sein kann, den Blickwinkel zu verändern. - Dialog
Schlussendlich hilft es in so gut wie jedem Fall, die eigene Interpretation von Erlebtem zu benennen und, sofern die nötige Vertrauensbeziehung vorhanden ist, in den Dialog mit der betreffenden Person zu gehen. Oft stellen sich dann die eigenen Interpretationen als das heraus, was sie sind: Interpretationen.
Zusammengefasst: Was mir seltsam vorkommt, könnte einfach eine Mischung aus einer anderen Realität des Gegenübers und meiner Bewertung dieser sein. Bei genauerer Betrachtung tun sich dann oft Gemeinsamkeiten und ähnliche Grundbedürfnisse auf – wo vorher scheinbar ein Unterschied war.
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