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Wer kennt sie nicht? Die jährlichen Gespräche mit dem Vorgesetzten respektive den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, um das zurückliegende Jahr zu reflektieren, den Zielerreichungsgrad zu bestimmen, einen Quervergleich aller Führungskräfte und AT-Mitarbeiter aufzustellen, diesen ‚gerecht‘ auszutarieren und den fälligen Bonus für das laufende Jahr festzulegen.
In meinen fast 20 Berufsjahren war ich selbst nicht nur steter Anwender als Führungskraft, sondern habe auch zu Beginn meiner Karriere als Personal- und Organisationsentwickler leidenschaftlich Systeme aufgebaut, flächendeckend eingeführt und für das entsprechende Know-how und Commitment gesorgt. Mit zunehmender Berufserfahrung, später als Vorstand und Geschäftsführer innerhalb eines Konzerns, fand ich den jährlichen Pflichtprozess zu dogmatisch, da er die permanenten betrieblichen Veränderungen viel zu wenig berücksichtigte und auch den Bedürfnissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach einem kontinuierlichen Kontakt und Dialog nicht wirklich entsprach.
Vergleichbare organisationsweite Prozesse leiden noch heute unter kontraproduktiven Vorgaben wie der Einhaltung der Gauß’schen Normalverteilung bei der Bewertung. Zentral vorgegebene Budgetkorridore bei der Bonusvergabe konterkarieren offen geführte Beurteilungsmeetings. Performante Führungskräfte müssen trotz engem Vorgabenkorsett bei der Verteilung gerecht behandelt werden, sonst droht deren Abwanderung. Und die innerbetriebliche Administration? Die ist oft nur lästig und mutiert zu einem Moloch, der die Menschen eine wenig wertstiftende Arbeit abverlangt.
Heute stellen sich daher viele Unternehmen, z.B. Adobe, GAP, Deloitte oder Accenture u.a. die Frage, ob das Mitarbeitergespräch und Systeme der vergleichenden Leistungsmessung im agil-digitalen Zeitalter überholt sind und aus dem Führungswerkzeugkasten verschwinden sollten. Oder gibt es eine Möglichkeit, den Prozess zu reformieren, im Sinne der gewünschten Unternehmenskultur zu verändern und damit mittel- und langfristig einen positiven Einfluss auf den Unternehmenserfolg zu nehmen?
Seit 2014 bin ich als Kooperationspartner der ComTeam AG aktiv und durfte dort früh den ComTeam Kulturprofil-Indikator® kennenlernen. Abstrahiere ich vom reinen Tool, bietet die Systematik einen guten Rahmen, um über die oben genannten Fragen nachzudenken.
Der ComTeam Kulturprofil-Indikator®
Der Kulturprofil-Indikator® ist ein Kulturanalyse-Tool, bei dem anhand von 100 Analysekarten in einem dialogorientierten Prozess ein differenziertes Bild einer bestehenden Unternehmenskultur erstellt wird. Der Prozess schafft dabei einen gemeinsamen Bezugsrahmen, der es ermöglicht, die gewünschte Soll-Kultur zu beschreiben und die Stellhebel zu benennen, die das Unternehmen der gewünschten Ziel-Kultur ein Stück näher bringen. Anhand von zwei Achsen (rangorientiert bis gleichwertig und standardisiert bis individuell) werden vier Kultur-Archetypen voneinander unterschieden.
- Family-Kultur: Hohe Individualisierung, hohe Rangorientierung.
- Ideen-Kultur: Hohe Individualisierung, hohe Gleichwertigkeit.
- Projekte-Kultur: Hohe Standardisierung, hohe Gleichwertigkeit.
- Struktur-Kultur: Hohe Standardisierung, hohe Rangorientierung.
Im Regelfall hat jede Organisation Aspekte all dieser Archetypen, allerdings in unterschiedlichen Ausprägungen.
Die Prozessschritte beim Mitarbeitergespräch und der Leistungsmessung sind in der folgenden Tabelle kurz dargestellt. Aus der Darstellung wird klar, wie groß teilweise die Unterschiede in den Kulturen sind.
Die Unternehmen, bei denen der Prozess der Digitalisierung voranschreitet, wollen durch die Hinwendung von der Struktur- zur Innovationskultur diesen auch auf der People-Seite erden und beschleunigen. Freiräume und mehr Gleichwertigkeit entstehen. Persönliches Know-how wird stärker geteilt und multipliziert sich. Entwicklung findet immer stärker selbstorganisiert statt. Feedback wird alltäglich. 360°-Instrumente und ein transparenter Austausch lösen eindimensionale Beurteilungen ab. Differenzierung ist erwünscht im Sinne einer Suche nach der bestmöglichen Lösung. Unternehmensziele stehen stärker im Fokus.
Die spannenden Fragen sind a) Kann dies gelingen? und b) Was muss passieren, damit es gelingt?
Die Erfahrungen mit dem KPI bei ComTeam haben gezeigt, dass Veränderungen innerhalb bzw. zwischen den Kulturfeldern in kleinen Schritten erfolgen. Eine breite Basis zu finden, um die existierenden Einstellungen und Verhaltensweisen in einem Evolutionsansatz so neu ausrichten zu können, bedarf eines breit angelegten Veränderungsprozesses. Um den ‚Tanker‘ oder auch das ‚Schnellboot‘ in die gewünschte Richtung zu steuern, ist es hilfreich, von Beginn an vertrauensvoll an den Chancen wie auch den Ängsten der neuen Richtung zu arbeiten.
Bei allem bleibt aber auch die Notwendigkeit bestehen, dass die Unternehmensführung die richtigen kurz- und langfristigen Ziele identifiziert und kommuniziert, dass individuelle Verantwortung und die Verantwortung im Team ein ,sowohl als auch‘ bleibt, Partizipation gut aber auch angemessen ausbalanciert sein muss und die Steuerung der finanziellen Basis nach wie vor einen sehr hohen Stellenwert haben muss.
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