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Die Tochter unserer Freunde ist 15 und sollte sich für eine Berufslehre entscheiden. Von ihrer Lehrerin hat sie den Tipp bekommen, sich auch mal bei untypischen Berufen umzusehen. Mit untypisch meinte sie „nicht die typisch weibliche Wahl“ wie Friseurin oder Schmuckverkäuferin sondern etwas, das sie sich vielleicht auf den ersten Blick gar nicht zutraut und auch keine weiblichen Vorbilder dafür im Bekanntenkreis vorhanden sind. Was ich zudem heimlich zwischen den Zeilen lese ist: „Frauen lassen sich schnell entmutigen, haben wenig Selbstvertrauen, um sich auch ungewohnten Aufgaben zu stellen und fordern von sich und den anderen zu wenig, um weiter zu kommen.“ Die Tochter war ratlos, denn außer den beiden genannten Berufen war ihr nichts in den Sinn gekommen.

Nach einem gemeinsamen Brainstorming bekamen wir eine beeindruckende Liste zusammen. Drei Berufe davon will sie nun weiter verfolgen: Goldschmiedin, Sachbearbeiterin in einem Reisebüro und Schneiderin für Theaterkostüme.

Auf dem Heimweg im Zug lese ich eine Studie von McKinsey zum Thema „Frauen in der Arbeitswelt 2016“ (US Unternehmen). Der Bericht ist so klar, dass ich nichts heimlich zwischen den Zeilen vermuten muss:

  • Frauen haben eine geringere Chance, in eine erste Führungsposition befördert zu werden als Männer und kommen daher oftmals gar nicht in eine Führungslaufbahn.
  • Unternehmen habe Gender Diversity Programme installiert, setzen diese jedoch nicht konsequent durch.
  • Frauen in höheren Führungsfunktionen wechseln häufig aus Linienfunktionen zu Stabsfunktionen und werden somit nicht mehr weiter in der Führungslaufbahn berücksichtigt.
  • Es werden doppelt so viele Männer wie Frauen von außen neu eingestellt, für höhere Führungsfunktionen sogar drei Mal mehr.

Aha, werden Sie nun vielleicht denken. Ist ja klar, Frauen klagen ihre geringeren Chancen ein, aber wenn es dann ans Eingemachte geht, kneifen sie.

Die Befragung von 34.000 Frauen in 39 Unternehmen gibt hier weitere unerwartete Einsichten:

  • 74% der Männer, aber nur 67% der Frauen werden zu wichtigen Meetings eingeladen.
  • 68% der Männer, aber nur 62% der Frauen haben kürzlich eine herausfordernde Aufgabe erhalten.
  • 63% der Männer, aber nur 56% der Frauen werden für wichtige Entscheidungen um Input gefragt.

Abb. aus: LeanIn.Org and McKinsey & Company: Women in the Workplace 2016 (a comprehensive study of women in corporate America), S. 11.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass nur 44% der befragten Frauen glauben, dass die besten Chancen auch tatsächlich den besten Mitarbeitenden offen stehen, davon sind immerhin 54% der Männer überzeugt. Und bei der Frage, ob ihr Geschlecht es schwierig macht eine Gehaltserhöhung, eine Beförderung oder auch nur die Chance für eine Weiterentwicklung zu erhalten, meinen nur 12% der Männer, dies könnte für sie ein Problem darstellen, jedoch 33% der Frauen sind überzeugt davon.

Aha, werden Sie nun vielleicht denken. Ist ja klar, Frauen sind nicht durchsetzungsstark genug und verhandeln zu weich.

Die gute Nachricht der Studie: Frauen verhandeln um Beförderungen und Gehaltserhöhungen genau so oft, wenn nicht öfter, wie Männer. Die schlechte Nachricht ist, dass Frauen, die verhandeln, danach häufiger ein negatives Feedback erhalten:

  • 30% der Frauen erhalten danach das Feedback, ihr Verhalten sei „bossy“, aggressiv und einschüchternd. Dies ist bei 23% der Männer der Fall.

Abb. aus: LeanIn.Org and McKinsey & Company: Women in the Workplace 2016 (a comprehensive study of women in corporate America), S. 12.

Gemäß der Studie verfügen Frauen über ein weniger wirksames Netzwerk im Unternehmen als Männer. Sie haben nur schwierig Zugang zu Senior Managern als Mentoren und ihr berufliches Netzwerk besteht in der Mehrzahl aus Frauen.

Und Personen, egal ob Mann oder Frau, die neben der beruflichen Tätigkeit den Hauptteil der Hausarbeit und Kinderbetreuung erledigen, sind grundsätzlich weniger interessiert daran, Spitzenführungskräfte zu werden.

Und nun?

Die Studie ermahnt die Unternehmen, sich wirklich ernsthaft um die Umsetzung ihrer Diversity Programme zu kümmern. Dazu gehören klare Aussagen warum dies wichtig ist und welche positive Wirkung man davon erwartet, für das Unternehmen, die Kunden und die Gesellschaft insgesamt.
Dabei sollten die Senior Manager sich ihrer Verantwortung bewusst werden: Obwohl 62% der Senior Leader aussagen, dass sie Gender Diversity als ihre persönliche Priorität betrachten, sagen nur 28% der Mitarbeitenden, dass sie regelmäßig dazu ermutigt werden über solche Themen mit ihren Senior Leadern überhaupt zu sprechen.
Nur 40% der befragten Unternehmen nehmen ihre Senior Leader diesbezüglich in die Pflicht und berücksichtigen dies in der individuellen Leistungsbeurteilung. Aus Mitarbeitersicht geschieht dies sogar in weit geringerem Ausmaß: Nur 32% glauben, dass die Senior Leader regelmäßig dafür verantwortlich gemacht werden und nur 9% glauben, dass Manager für ihre Anstrengungen in Bezug auf die Gender Diversity anerkannt werden.

93% der befragten Unternehmen sind überzeugt, dass ihre Rekrutierungs-, Beförderungs- und Leistungsbeurteilungsprozesse klar, fair und konsistent angewendet werden obgleich dies nur von 57% der Mitarbeitenden so wahrgenommen wird.

Als Quintessenz der Studie stehen für mich zwei Themen im Vordergrund: Einerseits steht die schiere Glaubwürdigkeit solcher Gender Diversity Programme auf dem Spiel und damit auch das Vertrauen der Mitarbeitenden in die Ernsthaftigkeit solcher Programme. Und andererseits gibt es offenbar noch immer sehr viel zu tun, um Männern und Frauen gleichermaßen die Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Ermutigung zuteil werden zu lassen, die sie benötigen und verdienen, um sich für eine Führungslaufbahn zu engagieren und gerne dabei zu bleiben.

Aha, werden sie nun vielleicht denken. Dies gilt nur für die USA, bei uns in Europa, insbesondere hier in Deutschland ist dies ganz anders. Wirklich?

Die neueste Nachricht auf meinem Handy: Die Tochter meiner Freunde möchte nun vielleicht auch Tramführerin werden. Es bleibt spannend!

Quelle: LeanIn.Org and McKinsey & Company: Women in the Workplace 2016 (a comprehensive study of women in corporate America). Die gesamte Studie finden Sie hier.

Beatrice Trog

Eine besondere Situation, ein bewegendes Thema - die einen machen ein Foto - ich halte es in Worten fest. Als Beraterin und als Biologin skizziere ich Momentaufnahmen. Nicht schwarz-weiss polarisierend, sondern bunt wie das Leben. Mit Liebe und Respekt und manchmal mit einem Augenzwinkern lade ich mit meinen Geschichten dazu ein, neugierig den Blick zu öffnen. Besonders kostbar in meiner Tätigkeit als Beraterin sind für mich die Momente, wo Führungskräfte es wagen einen ungewohnten Standpunkt zu vertreten, den Mut haben, auch in die dunkleren Ecken ihres Unternehmens zu schauen oder sich ernsthaft entscheiden, eine persönliche Entdeckungsreise zu beginnen. Da beginnt Veränderung.
Mein Lieblingszitat: „Lebe jetzt und freu dich auf gleich“ (Peter T. Schulz).

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