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Wir müssen unsere Komfortzone verlassen um etwas Neues auszuprobieren und zu lernen (vgl. Manfred Spitzer: Lernen, 2007). Und nun fühlt man sich dabei plötzlich ziemlich gefordert und gestresst.

Diese Erfahrung haben viele von uns gemacht. Gleichzeitig zeigt die aktuelle Forschung (Gerald Hüther: Biologie der Angst, 2012), dass Angst und Stress das Lernen verhindert. Es gilt also den Bereich zu finden, in dem Lernen möglich ist. Und genau dem steht oft – vor allem in Veränderungsprozessen, wo gemeinsames Lernen besonders wichtig ist – eine abwertende Grundhaltung gegenüber der Komfortzone im Wege. „Die wollen nur nicht aus ihrer Komfortzone raus“ ist ein oft gehörter Satz. Damit wird ein komplexer Zusammenhang vereinfacht und Menschen pauschal in eine Ecke gestellt. Gleichzeitig wird auch der Samen gesetzt, aus dem Widerstand wachsen kann: Diskriminierung einer anderen Haltung! Der Preis dafür: Gemeinsames Lernen findet nicht statt. Es lohnt sich deshalb genau auf die Komfortzone zu schauen und diese zu verstehen.

Komfortzone ist nicht a priori schlecht! Sie hat verschiedene Aspekte.

Was ist Komfort überhaupt?

Meine Definition von Komfortzone lautet: „Der Bereich, in dem wir die gestellten Aufgaben mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen bewältigen können“. Daraus ergibt sich, dass es nicht eine Komfortzone gibt, sondern mehrere – und auch Dis-Komfortzonen.

Die verschiedenen Zonen

Unterfordert und wenig produktiv
Wir alle kennen das: Wir haben viel Zeit für eine Aufgabe und schieben diese bis zum letzten Moment vor uns her. Oder wir freuen uns auf einen echt entspannten Tag und haben am Ende das Gefühl, nichts erreicht zu haben. In der innersten Komfortzone fehlt die Spannung im Sinne von Energie, die es braucht um produktiv zu sein. Dies ist aber auch der Ort der Ent-Spannung und Regeneration. Das kann auch eine Kaffeepause, ein kurzes Gespräch auf dem Korridor sein. Oder eine Phase nach einer besonders hektischen Zeit, z.B. der Jahresabschluss, in der Zeit ist, aufzuräumen und zu sich zu finden. Da es hier gänzlich an Herausforderungen fehlt, findet hier auch kein Lernen statt.

Gefordert und produktiv
Das ist unsere kontinuierlich produktive Komfortzone. Hier haben wir die gesunde Spannung, die Produktivität über lange Zeit möglich macht. Wir brauchen unsere Fähigkeiten und unser Wissen, um die an uns gestellten Anforderungen zu bewältigen und fühlen uns diesen gewachsen. Dieser Bereich der Komfortzone kann mit der Reiseflughöhe eines Flugzeuges verglichen werden. Produktivität und Ressourcenverbrauch sind optimiert. Die Regenration der Ressourcen – das Auftanken – erfolgt im normalen Rhythmus. Befinden sich die Menschen einer Organisation in diesem Bereich, dann sind sie über lange Zeit produktiv. Hier lernen wir im gewohnten Rahmen dazu. D.h. Wir „addieren“ Wissen und Können zum Bestehenden, aber lernen kaum wirklich Neues.

Herausgefordert und erhöht produktiv
Auch diese Situation kennen wir alle: Wir stehen unter Strom. Wir bewältigen vieles gleichzeitig, sind „im flow“ und „es rockt“. Hier begegnen wir Herausforderungen, die all unsere Fähigkeiten, unser Wissen und unseren vollen Einsatz verlangen, damit wir sie erfolgreich meistern können. In diesem Bereich der Komfortzone sind wir zuversichtlich oder gar überzeugt, dass wir die Herausforderung bewältigen können. Wir wissen aber auch, dass wir volle Leistung bringen müssen. In dieser Zone beginnt wirkliches Lernen. Wir erforschen neue Gebiete, erschliessen uns neues Wissen mit Neugierde. Haben wir die Herausforderung gemeistert, lehnen wir uns müde aber zufrieden zurück. Dieser Bereich lässt sich mit dem Start des Flugzeuges vergleichen. Alle Systeme müssen an ihre Leistungsgrenze gehen, damit der Start gut verläuft. Wird ein Flugzeug aber auf Dauer mit dieser Leistung geflogen, droht der Absturz. Gleiches gilt für Menschen in Organisationen. Über die Zeit wird die Bilanz von aufgewendeter Energie zu erzieltem Ergebnis negativ. Die Folge sind Resignation und Erschöpfung.

Aussergewöhnlich gefordert und eingeschränkt produktiv
Wir stehen vor einer Aufgabe, der wir uns nur bedingt gewachsen fühlen. Wir müssen uns auf ein Ziel fokussieren, unsere Energie auf diese Aufgaben bündeln. Hier beginnt der Dis-Komfort. Die Fokussierung verhindert, dass wir erkennen, was an der Peripherie geschieht. Mit anderen Worten: Vieles, das wir auch tun sollten, haben wir nicht mehr im Blick. All unser Wissen und unsere Fähigkeiten sind auf die ausserordentliche Herausforderung konzentriert. Auch hier lernen wir, eher weniger aus Neugierde als aus der Notwendigkeit heraus, bestehen zu können. Haben wir diese Herausforderungen erfolgreich bewältigt, so steht der Zufriedenheit und dem Erfolgsgefühl oft auch eine Erschöpfung gegenüber. Um beim Flugzeug zu bleiben: Ein Startabbruch im letzten Moment belastet die Systeme bis an ihre Grenzen. Bevor das Flugzeug wieder startet, wird es gründlich überprüft. Für Menschen und Organisationen heisst es, sie müssen zurück in ihre Komfortzone.

Überfordert und unproduktiv
Auch das haben wir schon alle erlebt: Wir wissen nicht mehr, wo uns der Kopf steht. Wir hetzen von einem Termin zum nächsten. Wichtig ist, was am nächsten liegt oder wo der Druck am höchsten ist. Hier gilt der Spruch „operative Hektik ersetzt geistige Windstille“. Hauptsache man rennt und strengt sich an. Es wird dann schon was Gutes dabei herauskommen. Hier steht der Einsatz in keinem Verhältnis zum Resultat. Es herrscht die Illusion etwas zu tun, das nicht der Realität entspricht. Im Notprogramm findet kein Lernen statt. Es fehlt die Kapazität, Neues aufzunehmen und zu reflektieren – Voraussetzung für Lernen.

Wo Menschen und Organisationen lernen

Wir lernen Neues wenn wir herausgefordert werden. Möglicherweise auch wenn wir an der Grenze unserer Möglichkeiten sind. Innovation entsteht, wenn wir herausgefordert werden (s.o. im mittleren Ring). Jeder Student oder Schüler weiss, dass man nicht permanent lernen kann. „Seid mal innovativ“, ist auch keine Aufforderung, die Neues entstehen lässt. Lernen und Innovation haben dann die besten Chancen, wenn wir uns immer mal wieder in unserer Komfortzone befinden, d.h. das Vertrauen in uns haben, die Situation bewältigen zu können. Dieses Vertrauen nährt sich auch aus der positiven Erwartung oder Gewissheit, dabei auf die Unterstützung und Ermutigung durch Menschen in unserem Umfeld zählen zu können. Und die Sicherheit, dass jeder auch mal Fehler machen darf ohne gleich abgewertet oder gar bestraft zu werden. Ermutigung, Inspiration und die Einladung zu zeigen dass man es kann sind der Boden, auf dem Lernen wächst (Gerald Hüther: Etwas mehr Hirn bitte, 2015).

Ergebnisfokussierte Unternehmensentwicklung

Ein Unternehmen ist wie ein Flugzeug: Es muss mit unterschiedlichen Herausforderungen zurecht kommen und über lange Zeit operativ sein. Ein guter Pilot weiss, wann, wie lange und wie oft er oder sie die Maschine an die Grenze der Komfortzone bringen darf und noch wichtiger, wann sie in der Dis-Komfortzone ist. Das gilt genau so für Führungskräfte in der Unternehmung. Je natürlicher die Lernbewegung der Führungskräfte und Mitarbeiter zwischen den unterschiedlichen Zonen mäandert, desto nachhaltiger ist dessen Wirkung und der damit einhergehende Erfolg.

Schreib uns, wie in deiner Organisation mit der Komfortzone umgegangen wird! Wo befinden sich die Menschen? Wird gelernt, entsteht Neues? Wir sind gespannt!

Marco Stoll

Als Berater und Trainer in den Bereichen systemisches Prozessmanagement, Konfliktbewältigung und Mediation begleite ich Führungskräfte, Teams und Unternehmen in Projekten und Menschen in ihrer persönlichen, beruflichen Weiterentwicklung.
Ich arbeite oft und gern mit Organisationen und Teams, in denen Menschen aus verschiedenen Kulturen vertreten sind. Mir ist es ein Anliegen, dass die Menschen, mit denen ich arbeite, selber zu Erkenntnissen gelangen. Ich verstehe deshalb meine Rolle mehr als Begleiter denn als Berater. Nach einer kaufmännischen Grundausbildung studierte ich BWL. Es folgte ein Auslandaufenthalt in den USA und anschliessend arbeitete ich während vierzehn Jahren in verschiedenen Linien-, Stabs- und Führungsfunktionen bei einem global tätigen Rückversicherungskonzern. Ich bin 1959 in Winterthur geboren, wo ich noch heute lebe und wo sich auch der Sitz von ComTeam in der Schweiz befindet. Meine sportlichen Aktivitäten führen meistens in die umliegenden Wälder und ich nehme – ganz ohne Ambitionen – Gesangsunterricht.

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