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Teil 1 unserer Mini-Serie zu Coaching in Pandemiezeiten

Quelle: Adobe Stock

Peter Kraushaar hat jahrelange, intensive Coaching-Erfahrung und coacht regelmäßig erfolgreich Führungskräfte beim Jobwechsel. Im Interview lässt er uns wissen, wie sich Karriere-Coaching durch Corona verändert und wie hilfreich der von ihm entwickelte „Vier-Z-Ansatz“ dabei ist. In Teil 2 der Serie wird es weitere Details und konkrete Anwendungsbeispiele für diesen Ansatz geben.

Peter, warum ist Karriere-Coaching beim Jobwechsel grundsätzlich so ein wichtiges Themenfeld?
Beruf und Arbeit sind zentrale Bestandteile unseres Lebens. Der Wechsel in ein neues Arbeitsverhältnis oder in die Selbständigkeit zählt zu den bedeutungsvollsten persönlichen Entscheidungen. Eine berufliche Neuausrichtung vollziehen deutsche ArbeitnehmerInnen durchschnittlich nach 10 Jahren1. Ein Jobwechsel ist also eine wichtige, seltene und ungewohnte Angelegenheit. Klar, dass diese bei den meisten BewerberInnen Stress auslöst.

Wo fängt für Dich Karriere-Coaching beim Jobwechsel an – und wo hört es auf?
Karriere-Coaching beim Jobwechsel beginnt mit der Entscheidung zur Neuorientierung und endet mit Antritt der neuen Position. Dazwischen liegen die Stationen

  1. Zielplanung und Zukunftsorientierung
  2. Kompetenz- und Persönlichkeitsanalyse
  3. Markt- und Realitätscheck und
  4. Bewerbungstraining.

Ein Missverständnis ist, dass Karriere-Coaching mit Arbeitsvermittlung oder mit Präsentation offener Positionen gleichzusetzen ist.

Das klingt so, als ob der Coach einerseits beratende, andererseits coachende Funktion hat?
Ja, der Coach muss sich bewusst sein, dass er beide Rollen hat. Ich berate zu operativen Bewerbungsfragen wie Anschreiben, Lebenslauf oder virtueller Gesprächsführung. Zu persönlichkeitsentwickelnden Fragestellungen coache ich.

Welche Persönlichkeitsmerkmale sind in Zeiten der Krise und Veränderung förderlich, welche eher hinderlich?
Das ist branchen- und positionsabhängig. Ich stelle fest, dass häufig folgende förderliche Eigenschaften nicht stark genug ausgeprägt sind und ein Lernfeld darstellen:

  • Selbständige brauchen Durchsetzungsstärke und Wettbewerbsorientierung anstelle Harmonie- und Beziehungsorientierung
  • Führungskräfte in KMU’s brauchen stärker Entschlossenheit und Entscheidungsfähigkeit als Dialogorientierung
  • Führungskräfte großer Organisationen brauchen bereichsübergreifende, vernetzende, analog-digitale Denk- und Verhaltensweisen anstelle von Abteilungs- und Silo-Denken
  • Startup-MitarbeiterInnen brauchen eher kurzfristig messbare Handlungsfähigkeit als mittelfristige Ergebnisorientierung
  • Führungskräften im öffentlichen Sektor helfen evolutionär-verändernde oft mehr als traditionell-bewahrende Denk- und Verhaltensweisen

Du bist überzeugt, dass Karriere-Coaching in der Pandemie eine besondere Herausforderung ist – woran liegt das?
Ich bin der festen Meinung: Corona wird zum Musterbrecher. Coach und Coachee haben folgende Job-Umfeld-Veränderungen zu verstehen und berücksichtigen:

  1. Es gibt Corona-Gewinner und -Verlierer. In Branchen wie Luftfahrt, Touristik, den konsumnahen Branchen wie Gastronomie, Hotel und Veranstaltungen, Sport sowie Wellness müssen2 abhängig Beschäftigte mit Jobverlust und Selbständige mit erheblichen Auftragsverlusten rechnen3, wobei unter den Selbständigen Frauen häufiger betroffen sind als Männer4. In anderen Branchen wie Digitalisierung, Onlinehandel, Logistik- und Verpackungsbranche, Gesundheit und im Öffentlichen Dienst werden BewerberInnen gesucht.
  2. Durch Entlassungen, Insolvenzen und Kurzarbeit wird die Sehnsucht nach Job-Sicherheit verstärkt. Homeoffice bietet darüber hinaus Raum und Zeit zur Reflektion der beruflichen Sinnfrage. Eine Vielzahl von ArbeitnehmerInnen und Selbständigen hinterfragen momentan: „Welche Tätigkeiten sind gesellschaftsrelevant und wie will ich in Zukunft arbeiten?“
  3. Virtuelle Bewerbungsgespräche und auch Assessment Center werden immer häufiger eingesetzt. Die BewerberInnen müssen sich darauf entsprechend einstellen und vorbereiten.
  4. Viele Unternehmen richten nach Corona die Struktur und die Gestaltung von Arbeit neu aus. BewerberInnen sollten antizipieren können, wie im Post-Corona-Zeitalter gearbeitet wird und sich entsprechend ausbilden.

Was sind jetzt relevante Herausforderungen für Deine Coachees?
Die Rahmenbedingungen sind schwieriger geworden und Jobsuchende haben „richtig dicke Bretter“ zu bohren. Sie sollten mit Unsicherheiten, Zukunftsängsten und Niederlagen umgehen und sich mit höchstem Engagement und Disziplin in neue Aufgaben einarbeiten können. Die größten Unterschiede wird es für diejenigen geben, die aufgrund von Corona ihren Job verlieren bzw. sich einen neuen Job wünschen und nicht in der Corona-Gewinner-Branche zu Hause sind. Viele werden eine Position in der gleichen Branche finden wollen. Der Wettbewerb wird größer. Für Jobs in den Gewinner-Branchen brauchen BewerberInnen sehr häufig zusätzliche Kompetenzen.

Wie sehen für Dich die wichtigsten Coaching-Themen bei einem jetzigen Jobwechsel aus?
Als Coaches beraten wir BewerberInnen intensiv zu drei Check-Stationen:

Check-Station I – Persönliche Positionsbestimmung
Verfügen KandidatInnen über die notwendige persönliche Stärke? Gibt es genügend finanziellen Spielraum und unterstützt die Familie einen so herausfordernden Veränderungsprozess? Bedeutend ist auch, ob der Coachee schon häufiger Veränderungen durchlebt hat und auf ausreichende Resilienz aufbauen kann.

Check-Station II – Aufbruch aus der Komfortzone
Wie hoch ist die Attraktivität der sicheren Komfortzone im Vergleich zur möglichen Zukunft? Folgende Checkfrage ist positiv zu beantworten: Sind die Vorteile der Komfortzone kleiner als die Vorteile der Zukunft inklusive des steinigen Wegs bis zum neuen Job?

Check-Station III – Vier-Z-Ansatz
Ich habe den hilfreichen Vier-Z-Ansatz für ein erfolgreiches Karriere-Coaching entwickelt:

Ziel glasklar formulieren
Antizipation des Zielbilds. Für BewerberInnen heißt das: Visualisierung des neuen Jobs. Das hilft bei konkreten Beschreibungen, welche Aufgaben ausgeführt und welche Kompetenzen ergänzend eingesetzt werden und mit welchen Akteuren sich Zusammenarbeit und neue Arbeitsweise und Kultur gestalten. Dabei werden auch Gefühle und Stimmungen beschrieben.

Zweck der Tätigkeit vergegenwärtigen
Um wirklich gute Arbeitsergebnisse zu liefern, braucht es intrinsische Motivation. Nur so entsteht der Flow, in dem wir die Extra-Meile gehen. Die Kernfrage lautet: Lautet der persönliche Wunsch, HIN zu einem neuen Job zu gehen oder WEG von einem Job und sind Sicherheit, Gehalt, Status oder andere externe Faktoren die größere Motivation?

Zuversicht bei Rückschlägen bewahren
Auf dem Weg zum Ziel gibt es unabdingbare Herausforderungen, Hindernisse und Rückschläge. Das können äußere Umstände oder auch persönliche Aspekte wie Emotionen, Überzeugungen oder Angewohnheiten sein. Angst und Aktionismus sind in all diesen Situationen schlechte Ratgeber. Ich verdeutliche dem Coachee, dass ein kühler Kopf wichtig ist. Es ist entscheidend, bewusst zu bleiben und nicht in die Rolle des verzweifelten Bittstellers zu rutschen. Die Konzentration auf die eigenen Stärken und Erfolge unterstützt diese Haltung.

Zukunft gestalten
Um den Lieblings-Job zu bekommen, braucht es zu guter Letzt einen Plan, wie die Herausforderungen und Hindernisse auf dem Weg zum Ziel zu meistern sind. Die Chance, das Ziel zu erreichen ist nachweislich größer, wenn konkrete Handlungsanweisungen zu den Herausforderungen definiert werden.

Lieber Peter, vielen Dank für Deine Einblicke und guten Tipps. Danke für das Interview.

 

Quellen
1: So arbeitet Deutschland: https://www.spiegel.de/karriere/betriebstreue-so-schnell-wechseln-die-deutschen-ihren-job-a-1158685.html
2: ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung Mannheim GmbH, Irene Bertschek/Daniel Erdsiek, Soloselbständigkeit in der Corona-Krise, Mai 2020
3: zu Selbständigen generell: https://www.diw.de/de/diw_01.c.791714.de/publikationen/diw_aktuell/2020_0047/corona-pandemie_wird_zur_krise_fuer_selbstaendige.html
4: zu weiblichen Selbständigen: https://www.diw.de/de/diw_01.c.800229.de/publikationen/diskussionspapiere/2020_1903/covid-19__a_crisis_of_the_female_self-employed.html

Peter Kraushaar

Berater, DBVC Senior Business Coach

Über 12 Jahre begleite ich Führungskräfte, Teams und Organisationen in einer sich schnell verändernden, komplexen und digitalen Geschäftsumgebung.
Mit klarem Fokus auf Ziel und Ergebnis, einer optimistischen Einstellung und sozialer Kompetenz arbeite ich mit Agil- und Kreativ-Techniken sowie mit zeitgemäßen Online-Methoden. Dabei decke ich von Beratung über Coaching alle Facetten ab, die in Veränderungsprozessen erforderlich sind.
Als Führungskraft arbeitete ich in der Automobil- und Nahrungsmittelindustrie. Dort habe ich in kleinen und innovativen sowie in großen und strukturierten Organisationskulturen meine praktische Geschäftserfahrung für Führung und Veränderung gesammelt, die ich als Berater und Coach einbringe.

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