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Teil 2 unserer Mini-Serie zu #MeToo und Klärungsprozessen in Unternehmen: Wie bei einem #MeToo-Fall externe Begleitung durch Mediation helfen kann.
Martin (48), HR-Leiter, war immer der Meinung, #MeToo wäre nur in der Unterhaltungsbranche ein Thema… und plötzlich ist er derjenige, der Unterstützung benötigt.
Martin* arbeitet seit 25 Jahren im HR-Bereich in der Versicherungsbranche. Vor einigen Monaten kam ein Bereichsleiter auf ihn zu, eine ihm sympathische, kompetente und erfahrene Führungskraft. Der Bereichsleiter hatte einen klassischen #MeToo-Fall ausgelöst: In einem Meeting mit einer Mitarbeiterin rutschte ihm ein extrem unpassender, unüberlegter Spruch heraus. Dem Bereichsleiter war – laut Martin – überhaupt nicht bewusst, was er da eigentlich gesagt hatte. Bis er die Reaktion der Kollegin mitbekam. Sie hatte sich krankgemeldet und verkündet, die Zusammenarbeit mit dem Bereichsleiter einzustellen. Der Kontakt zwischen den beiden Beteiligten war abgebrochen.
Das Unternehmen hat für derartige Fälle bislang keinen entsprechenden Prozess etabliert. Deshalb sah sich Martin nach einer externen Unterstützung um. Ziel war es, im Rahmen einer Mediation die „Sache aus der Welt zu räumen“ und beide Parteien wieder arbeitsfähig zu machen. Denn – so sagten alle Beteiligten – die Zusammenarbeit zwischen der Mitarbeiterin und dem Bereichsleiter war vor dem Zwischenfall richtig gut gewesen.
Mediation: Ein Prozess, der beide Seiten hört
Bevor ein Mediationsgespräch zwischen dem Bereichsleiter und der Mitarbeiterin stattfinden konnte, wurden zunächst Einzelgespräche vereinbart. In diesen Gesprächen wurde die Bereitschaft beider geprüft, sich auf eine Klärung einzulassen. Der Bereichsleiter hatte großes Interesse daran. Die äußerst unglückliche Formulierung war nicht in seinem Sinne gewesen. Es war überhaupt nicht seine Absicht gewesen, die Kollegin zu verletzen. Nach längerer Überlegung willigte auch die Kollegin in eine Fortführung des Klärungsprozesses ein.
In einer Mediation sind die Möglichkeit und der Raum entscheidend, der den Betroffenen zur Verfügung steht. So hatte die Kollegin im konkreten Fall mit dem Schutz der externen Mediatorin die Möglichkeit, sich zu öffnen. Sie beschrieb, was dieser Satz mit ihr gemacht hatte und wie es ihr damit ergangen war.
Der Bereichsleiter war daraufhin in der Lage, besser nachvollziehen zu können und eine offizielle und aufrichtige Entschuldigung zu formulieren. Beide Seiten konnten sich in die Augen sehen und waren bereit, die Zusammenarbeit wieder aufzunehmen.
#MeToo: Verschiedene Herangehensweisen
Wenn das Unternehmen keinen entsprechenden Prozess etabliert hat, kann es auf externe Unterstützung zurückgreifen. Welche Varianten gibt es noch? Kann sich eine Führungskraft einfach entschuldigen, wenn sie mitbekommt, dass ein Satz komplett die Wirkung verfehlt? Ist das nicht menschlich und machbar? Kann man das auch über Hierarchiestufen hinweg erwarten? Und weiter gedacht: Kann eine MitarbeiterIn auch ansprechen, wenn ein Satz oder eine Handlung in ihren/seinen Augen unangemessen war? Ist das nicht auch machbar ebenfalls über Hierarchiestufen hinweg?
Die Antwort lautet: Das hängt von der Unternehmenskultur ab, von der Beziehung zwischen den beiden und vom Kontext. Zu viele Faktoren für „einfache“ Entschuldigungen ohne dahinterliegende Prozesse als verlässliche Alternative.
Es ist wichtig, dass die Unternehmensleitung gemeinsam mit HR entsprechende Optionen – wie Mediation – bereitstellt. So bekommen Betroffene die Sicherheit und die Möglichkeit, sich zu äußern, wenn eine direkte Kommunikation keine Alternative darstellt. Das trägt zu einem offeneren, weniger mit Angst und Unsicherheit behafteten Umgang mit der #MeToo-Debatte bei. Außerdem öffnen solche Optionen Türen für den Dialog.
* Name geändert
- Hilfe, wir haben einen #MeToo-Fall! - 29. August 2019
- #MeToo oder #NichtNachgedacht? - 10. Juli 2019
- Griechischer Wein – oder: Wie viel Alkohol verträgt eine Führungsposition? - 5. November 2018
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