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Möglicherweise denken Sie in dieser Sekunde: Oh nein. Nicht NOCH ein Corona-Artikel. Und verlassen den Blog wieder. Möglicherweise interessiert Sie aber, wie wir unsere Coachings in der momentanen Situation erleben und wie sie helfen können, anstehende Herausforderungen gut zu bewältigen. Und Sie bleiben noch für ein paar Minuten.

Jede und jeder einzelne hat wahrscheinlich mittlerweile viel gelesen und gehört, denn Corona geht uns alle an. Wir möchten an dieser Stelle gerne berichten, wie die Situation unsere Art zu arbeiten beeinflusst. Dazu haben wir ein Interview geführt: Mit Peter Kraushaar, ComTeam Berater und Leiter unserer Business-Coaching-Ausbildung. Er hat uns erzählt, wie seine Coaching-Erfahrungen in dieser Ausnahmesituation aussehen und was seine Coachees jetzt brauchen.

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Lieber Peter, welche Fragen werden Dir momentan am häufigsten gestellt?
In erster Linie Fragen zu einzelnen, persönlichen Situationen, die dringlich sind und schnell gelöst werden sollen. Unsere Gespräche dienen dann einer schnellen Klärung und Entscheidung zu verschiedenen Themen. Selbstverständlich finden alle aktuellen Coachings telefonisch oder virtuell statt.

Was brauchen Menschen Deiner Erfahrung nach in der Krise?
In Krisen brauchen Menschen ganz besonders drei Dinge, die zusammen das „triple S“ bilden: Struktur, Stabilität und Selbstvertrauen.

Was beschäftigt die Menschen in dieser Krise grundsätzlich?
Diese Situation bringt einerseits viel Solidarität: in Form von kleinen Aufmerksamkeiten, Nachbarschaftshilfe und großartigen Aktionen wie dem Singen auf den Balkonen. Andererseits kommen auch Ängste und Sorgen hoch, aufgrund derer Menschen vermehrt an ihr eigenes „Überleben“ denken und beispielsweise Lebensmittel hamstern. Außerdem beschäftigt gerade viele der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und damit einhergehend Einschränkungen der Autonomie.

In Arbeitsbeziehungen entstehen gerade vermehrt „Distanz-Beziehungen“: Führungskräfte wie MitarbeiterInnen möchten im Homeoffice die Nähe zu KollegInnen und MitarbeiterInnen aufrecht erhalten …
Ganz pragmatisch hilft hier eine Checkliste zur Zusammenarbeit:

  • Funktioniert unsere Technik? Braucht jemand eine Technik-Schulung? Sind alle zuversichtlich, dass diese Technologien Spaß machen können?
  • Gibt es klare Regeln und Absprachen? Tägliche und/oder wöchentliche Termine für das ganze Team?
  • Können sich MitarbeiterInnen selbst organisieren und kommunizieren? MitarbeiterInnen im Homeoffice müssen eigenverantwortlicher handeln als in Fällen, bei denen der Chef im Nachbarbüro sitzt.
  • Vertrauen statt Kontrolle: Gibt es klare Zielvorgaben für MitarbeiterInnen? Das hilft sowohl diesen wie auch Vorgesetzten, die sich schwertun, Kontrolle abzugeben.
  • Gibt es Möglichkeiten für zwanglosen Austausch? Zum Beispiel ein virtuelles Frühstück oder After-Work-Chat mit Pizza und Rotwein?

Hast Du ein Beispiel für eine Führungskraft-MitarbeiterIn-Beziehung, die an ihre Grenzen stößt?
Ja, geradezu ein Paradebeispiel. Eine Vorgesetzte, die bei mir im Coaching ist, hat einen Mitarbeiter, der komplett überfordert ist: Er schaffe es nicht, die Kinder den ganzen Tag zu betreuen und zu bespaßen und gleichzeitig den Job zu erledigen. Außerdem sei die Technik nicht seins und das Virtuelle sowieso nicht. Fragen könne er nicht unmittelbar stellen und das Chaos sei überall …

Mein Coachee, also die Vorgesetzte, wünscht sich aber einen starken Mitarbeiter und zeigte zuerst wenig Verständnis. Klar: Dadurch wurde es nicht besser … In unserem Coaching entwickelte sie nun Ideen, wie sie durch aktives Zuhören und offene Fragen die Bedürfnisse und Ängste ihres Mitarbeiters besser erkennen und verstehen kann. Darauf aufbauend hat mein Coachee mit ihrem Mitarbeiter die Themen „objektiviert“, das heißt: einen Plan für die beruflichen Themen erarbeitet und mit Hilfe der „Eisenhower-Matrix“ priorisiert. Das gab dem Mitarbeiter Sicherheit und Orientierung in seiner Ausnahme-Situation.

Allgemein gesprochen: Welche Einstellung und Führungsqualität brauchen Führungskräfte, um ihre MitarbeiterInnen von der Angst in die sinnvolle Aktion zu begleiten?
Ich bin fest davon überzeugt, dass Führungskräfte gerade jetzt besonders optimistisch denken müssen. Außerdem sind klare Visionen und empathisch-besonnenes Handeln essenziell.

Kann Homeoffice auch für vermeintlich „alte Homeoffice-Hasen“ zum Stress werden?
Durchaus. Da gibt es einen Berater einer Unternehmensberatung. Er ist daran gewöhnt, im Job alles zu geben und sich alles abzuverlangen. Bei der Arbeit zählen Anstrengung und Leistung, seine tägliche Arbeitszeit beläuft sich meist auf 12 Stunden. Er ist am Wochenende erreichbar und bereitet Dinge vor. Homeoffice ist für ihn Gewohnheit.

Die neue Situation aber, mit 100 Prozent Homeoffice, zeigt ihm seine Grenzen auf. Ohne den täglichen Kontakt zu KollegInnen hat er das Gefühl, noch mehr als sonst leisten zu müssen, um der Krise einen Schritt voraus zu sein. 

Er weiß nicht mehr, wann sein Arbeitstag anfängt und wann er aufhört. Er findet keine Distanz zur Arbeit und verliert die Kontrolle. Sein Antreiber „Streng Dich an“ läuft auf Hochtouren.

Nach vier Tagen wird ihm klar – Gott sei Dank wird es ihm klar: So geht es nicht weiter. In gemeinsamen Gesprächen erarbeitete mein Coachee dann einen Plan: Er schafft sich nun Strukturen, indem er bewusst Freiräume einbaut, strukturiert den Tagesablauf mit Kaffee-Pausen, Frischluft- und Bewegungszeiten und privaten Telefonpausen.

Hast Du auch ein Beispiel für Konfliktpotenzial im Privaten?
Ja: Bei einem Kunden zu Hause ist bisherige Gewohnheit, sich bei Meinungsverschiedenheiten schnell aus dem Weg zu gehen. Jetzt, im Ausnahmezustand, sind vier Personen den ganzen Tag auf engstem Familien-Raum. Die Möglichkeit, sich aus dem Weg zu gehen, ist verschwunden. In der Familie kommt es nun zu Konflikten und Streit.

Wir haben im Coaching gemeinsam die Situationen definiert, in denen es impulsiv und emotional wird. Anschließend haben wir die „roten Knöpfe“, wie kommunikative Provokationen oder typisches Verhalten zusammengetragen, die die Familienmitglieder im Stress treibt und Kraft raubt.  Mit diesen Erkenntnissen haben wir Spielregeln im Zusammenleben in Zeiten von Corona entwickelt, die die Familie einhalten will: z.B. keine blöden Sprüche klopfen, ruhiges Verhalten während Homeoffice- bzw. Schulzeiten und vieles mehr.

Gibt es ein Thema, das für Dich gerade besonders schwer wiegt?
Einem jungen Kleinunternehmer im Eventbereich sind mit der Verschärfung der Corona-Krise von einem auf den anderen Tag alle Aufträge weggebrochen. Es ist nicht nur eine wirtschaftliche Krise: es ist vor allem eine persönliche.

Mit gespitztem Bleistift haben wir als die berufliche Situation analysiert: mein Coachee schlief in diesen Tagen unruhig und wurde immer nervöser. Anhand der Säulen der Identität stellten wir gemeinsam schnell fest, dass neben Arbeit und Leistung auch die Säulen „materielle Sicherheit“ und „soziales Netz“ stark belastet werden und sich eine persönliche Krise nähert.

Dringend muss jetzt ein Notfallplan her: es braucht eine kurzfristige Einkommensquelle, um die anderen Säulen zu stabilisieren. Da mein Coachee handwerklich begabt ist, nutzt er nun die Zeit und unterstützt einen Bekannten bei der Hausrenovierung – und er beantragt staatliche Unterstützung zur Überbrückung.

Vielen Dank, lieber Peter.

 

Zusätzliche Tipps: Das hilft Führungskräften und MitarbeiterInnen in der Krise

Peter Kraushaar

Berater, DBVC Senior Business Coach

Über 12 Jahre begleite ich Führungskräfte, Teams und Organisationen in einer sich schnell verändernden, komplexen und digitalen Geschäftsumgebung.
Mit klarem Fokus auf Ziel und Ergebnis, einer optimistischen Einstellung und sozialer Kompetenz arbeite ich mit Agil- und Kreativ-Techniken sowie mit zeitgemäßen Online-Methoden. Dabei decke ich von Beratung über Coaching alle Facetten ab, die in Veränderungsprozessen erforderlich sind.
Als Führungskraft arbeitete ich in der Automobil- und Nahrungsmittelindustrie. Dort habe ich in kleinen und innovativen sowie in großen und strukturierten Organisationskulturen meine praktische Geschäftserfahrung für Führung und Veränderung gesammelt, die ich als Berater und Coach einbringe.

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