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Wohl jeder Coach kennt das Phänomen: Das Coaching bleibt an einer Stelle stecken, weil der Coachee im Widerstand ist. Und dafür gibt es gute Gründe, denn niemand befindet sich zum Spaß im Widerstand. Gemeinsam können Coach und Coachee aber diese Barriere überwinden.

Als grundsätzliche Arbeitshaltung gilt für den Coach, Widerstand als legitim zu begreifen – das heißt, die Barriere zu respektieren und mit ihr zu arbeiten. Barrieren treten niemals grundlos auf, sie haben einen Nutzen für den Betreffenden: Sie sind Schutz, Unterstützer, Wächter und Regler. Sie schützen vor Verletzung, Verlust oder Versagen. Sie regulieren das für die Person verträgliche Veränderungstempo, prüfen, ob die Veränderung zu ihr passt und sorgen so für Authentizität. Wegen ihrer guten Funktion werden Barrieren nicht gerne und nicht so schnell aufgegeben. Gleichzeitig liegt dahinter meist ein Wunsch, eine Sehnsucht oder ein Bedürfnis. Und hier findet sich der Schlüssel zur Öffnung: Wenn der Coach mit der Barriere kooperiert und sich mit ihrer guten Funktion verbündet. Der Wunsch, die Sehnsucht oder das Bedürfnis muss für die gemeinsame Arbeit genutzt werden. Hilfreich ist, sich die neue Wirklichkeit vorzustellen und Bedenken anzusprechen: „Was könnte im schlimmsten Fall passieren?“

Um die Barriere richtig zu erkennen und mit ihr arbeiten zu können, unterscheiden wir in unserer Business-Coaching-Ausbildung zwischen vier Arten von Barrieren. Die Grafik „Barrieren im Coachingprozess“ zeigt, mit welchen Maßnahmen Coachs den verschiedenen Barrieren begegnen können.

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Barriere 1: Einsichts-Barriere

An der Einsichts-Barriere steckt jemand fest, der Klarheit vermeidet, sich nicht mit einem Thema auseinandersetzen möchte und ausweicht. Probleme werden genannt, aber keine Ideen, wie man zu Lösungen kommt. Dahinter steckt die Angst, sich festlegen zu müssen. Hier gilt es für den Coach, mit dem Coachee in Kontakt zu gehen: Auf inhaltlicher Ebene sollten konkret die Themen und Fragen, auf emotionaler Ebene die Ängste und Unsicherheiten angesprochen werden. Durch gezieltes Nachfragen kann der Coach die Situation konkretisieren. Ziel ist es, für Klarheit zu sorgen und Wege zu erschließen.

Barriere 2: Handlungs-Barriere

An der Handlungs-Barriere verhindert Überverantwortung effektives Handeln. Wer hier festhängt, bevorzugt meist Routine und schaltet Unberechenbares aus. Aus Angst, andere zu enttäuschen, fällt es schwer, „nein“ zu sagen, sodass eigene Bedürfnisse unterdrückt werden. Indizien für diese Barriere sind Verzögern und Aushalten, mehrfach das gleiche Gespräch zu führen, ohne Verbindlichkeit zu schaffen.
Bei der Arbeit an dieser Barriere ermutigt der Coach den Coachee, zunächst kleinere Entscheidungen zu treffen und ermöglicht, „nein“ zu sagen. Anfangs kann auf risikoärmeren Testfeldern außerhalb des beruflichen Umfelds geübt werden. Wichtig ist, dass sich der Coachee mit den eigenen Bedürfnissen und dem Gefühl der Überverantwortlichkeit auseinandersetzt.

Barriere 3: Stärkungs-Barriere

Die Stärkungs-Barriere verhindert, Erreichtes anerkennen und Leistung würdigen zu können. Sie zeigt sich, indem jegliche Art von Stärkung und Unterstützung – auch die des Coachs – aus Gewohnheit abgewehrt wird. Folge ist eine zweiflerische Haltung allem und jedem gegenüber. Hinter der Barriere verbirgt sich die Angst zu unterliegen, Grenzen akzeptieren und sich und anderen Fehler eingestehen zu müssen.
Damit sich die Barriere öffnen kann, müssen Coach und Coachee einen Weg finden, wie Erreichtes wertgeschätzt werden kann. Dabei sollte lösungsorientiert herangegangen werden. Der Coachee muss etwa lernen, Lob auszusprechen und anzunehmen. Nur, wenn Leistung und Erfolg gewürdigt werden, kann der Coachee hinter die Barriere und damit in den Zustand der Zufriedenheit gelangen.

Barriere 4: Abschluss-Barriere

An der Abschluss-Barriere verhindern das Nicht-aufhören- und Nicht-loslassen-Können die Beendigung eines Prozesses. Hinweise sind ein schnelles Arbeitstempo, Perfektionismus und Detailverliebtheit. Das dauerhaft hohe Energielevel führt dazu, dass „der Hamster im Rad“ keine Ruhe findet. Die Angst, in ein Loch zu fallen, führt zu ständigem Weitermachen und Unterdrücken von Gefühlen, sowohl positiven als auch negativen.
Für die Arbeit an der Abschluss-Barriere muss der Coachee in erster Linie in einen Zustand der Entspannung kommen. Der Coach sollte dazu sowohl auf inhaltlicher Ebene Kontakt machen („Es scheint ständig noch etwas zu verbessern zu sein?!“), wie auch auf emotionaler („Es fällt schwer, loszulassen!?“).

Hinweis: Dieser Text ist ein Auszug aus meinem Artikel „‚Mein Coachee ist im Widerstand’ – was tun?“, erschienen in der Ausgabe 10/2016 der „wirtschaft + weiterbildung“. Im kompletten Beitrag erfahren Sie anhand von vier Beispielen aus meiner Coachingpraxis, wie die Arbeit an den Barrieren konkret funktioniert, welche Dos and Don’ts es gibt – und warum manchmal auch der Abbruch des Coachings die richtige Lösung sein kann.

Heide Straub

Geboren bin ich 1949 in Freiburg im Breisgau.

Ausbildung und Berufserfahrung als Ergotherapeutin, Leiterin von therapeutischen Wohngemeinschaften, dem folgten Weiterbildungen in Hakomi, systemtischer Familientherapie für Organisationen und Mediation.
Führungserfahrung sammelte ich als ComTeam-Vorstand, dazu gehörte auch die Leitung des Hotels – mit allen Schatten- und Sonnenseiten, die zur Aufgabe einer Führungskraft gehören.
Schwerpunktmäßig arbeitete ich als Coach, Teamentwicklerin, Mediatorin, sowie als Trainerin für Führungstrainings und für die ComTeam Coaching-Aus- und Mediations-Weiterbildung – alles unterschiedliche Felder der Beratung, abwechslungsreich und herausfordernd. Ich lebe mit meinem Mann in München, wo ComTeam 1974 seinen Anfang genommen hat.

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