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In den letzten Wochen ist ein Boom an Artikeln zum Thema Achtsamkeit zu verzeichnen – wieder einmal… Das Handelsblatt brachte in der Wochenendausgabe vom 8. Januar 2016 volle 8 Seiten zu diesem Thema – schon wieder bloß ein neuer Hype?

Auch wir bei ComTeam beschäftigen uns seit vielen Jahren mit dem Thema in den Akademieangeboten und es gibt seit längerem auch ein eigenes Seminar dazu im Rahmen des Pakets „Emotionale Stabilität“ (Achtsamkeit – Bewusstheit statt Autopilot).

Also – was ist eigentlich dran an diesem Thema?

Achtsamkeit hat einen zentralen Platz in der buddhistischen Lehre und meint im Kern die Dinge so zu sehen wie sie wirklich sind. Scheint einfach und selbstverständlich – ist es aber keineswegs. In der spirituellen Schulung ist deshalb nicht umsonst jahrelang der Fokus auf diese Praxis gelegt worden. Vor einigen Jahren nun kam Achtsamkeit, dem spirituellen Kontext entrissen, in den Westen und hat vor allem auch in Unternehmen Fuß gefasst. Burn-out und andere Stresssymptome sind ein nicht mehr zu vernachlässigendes Element im Unternehmenskontext geworden. Die Kosten explodieren und so hat alles, was der Stressbewältigung zu dienen scheint, offene Türen auch im Wirtschaftskontext gefunden. Es geht darum, die Praxis und die Haltung der Achtsamkeit für die Selbstoptimierung zu nutzen, und um das klare Wahrnehmen der Dinge – ohne sie zu beurteilen. Vielleicht fällt uns dies im Westen deswegen besonders schwer, weil unser kritischer, analytischer Verstand ganz darauf trainiert ist, alles um uns herum sofort zu beurteilen. Das hilft der schnellen Orientierung und scheint in den immer schneller werdenden Abläufen notwendig zu sein. Es hilft auch tatsächlich in vielen Situationen, schränkt aber grundsätzlich die Wahrnehmung ein und führt oftmals eher zu einem „Schnellschuss“ statt zu einer abgewogenen Entscheidung.

Achtsamkeit erweitert grundsätzlich die Perspektive und ermöglicht radikal, Bewertung von Wahrnehmung unterscheiden zu können. Sie hat sich deswegen als wirksame Methode zum Stressabbau erwiesen, weil es letztlich unsere Bewertungen sind, die uns in Stress bringen und diese hängen natürlich von den gemachten Erfahrungen ab. Die Bewertungen bilden also den Filter, durch den wir die Realität sehen. Gelebte Achtsamkeit kann helfen, diesen Filter klar wahrzunehmen, dadurch die Resilienz zu stärken und wird inzwischen in vielen Unternehmen genutzt.

Also doch nur ein neuer „Trick“ wie wir noch stressresistenter und leistungsfähiger werden?

Jein könnte man antworten: Ja, einerseits durchaus ein Stimulanz für mehr Leistung, weil weniger „Reibungsverlust“ in den Arbeitsbeziehungen mehr Effizienz und mehr Nachhaltigkeit in den Entscheidungen bewirken. Das ist individuell erst einmal positiv. Andererseits muss sich das aber auch auswirken auf die Kultur und die Führung in Unternehmen, wenn es nicht nur ein vorübergehendes Pflaster für die Blessuren sein soll, die das immer Höher, Weiter, Schneller für Mitarbeiter und Führungskräfte mit sich bringt.

Es gibt inzwischen nicht wenige Unternehmen, die für sich erkannt haben, dass sich innerlich freiere, mitfühlendere und zufriedenere Mitarbeiter auch mehr engagieren; nicht weil es mehr Geld bringt, sondern weil es Sinn macht. Dieser Zusammenhang ist sehr vielfältig untersucht worden und belegt: Es ist vor allem der Sinngehalt der Arbeit, der den Ansporn zu Leistung bringt. So wird Leistung etwas, das Zufriedenheit bringt, im Job und im Leben und auf diese Weise wird nicht zuletzt auch die Loyalität zum Unternehmen gestärkt. Das wiederum dient dem Einzelnen und dem Unternehmen.

Achtsamkeit bringt einen erneuernden Blick auf die Prioritäten im Leben, auf die Zusammenhänge und auf das, was langfristig zählt – im Job und privat – sie macht es möglich, bewusst zu wählen.

Dieser klare und nicht bewertende Blick der Achtsamkeit bedeutet jedoch nicht, dass einem alles gefallen wird, was man plötzlich klar sieht. Im Gegenteil. Ein Teil der Wirkung von Achtsamkeit als alltägliche Praxis ist gerade, dass man die eingefahrenen Verhaltensmuster viel deutlicher sieht und auch den Preis spürt; die inneren Antreiber werden noch deutlicher und die damit verbundenen Gefühle sind nicht mehr so einfach wegzudrücken.

Achtsamkeit verspricht nicht „Wellness“ und Wohlbefinden, sondern heißt klares Hinschauen und Spüren, um daraus die Konsequenzen ziehen zu können.

Eine entscheidende Konsequenz, die aus dieser Klarheit folgt ist dann zunächst ein unbedingtes STOP! Ein Innehalten, eine Pause, welche das eingefahrene Muster unterbricht – das ist der erste entscheidende Schritt. So ist Achtsamkeit die grundlegende Voraussetzung, um einen anderen Weg einzuschlagen und klarere Ent-scheidungen treffen zu können. Und das heißt letztendlich: Handlungs-Freiheit gewinnen.

Und: wollen wir das nicht alle?

Elke Lorenz

Mein beruflicher und privater Weg hat mich durch viele Arbeitsfelder und einige Länder geführt. Studium in Berlin, Zusatzausbildungen in Gestaltherapie, Hypnotherapie und Systemischer Familientherapie in Deutschland und den USA. 15 Jahre eigene Beratungspraxis in Berlin (HPG), langjährige Erfahrung als Trainerin für verschiedene Organisationen/Unternehmen und als Coach. In meiner Arbeit mit Menschen schätze ich es besonders, dabei zu helfen, die „Grenzen im Kopf“ zu verschieben, weil sich dadurch auch neue Möglichkeiten für das Handeln ergeben. Das ist die Hauptlehre meines Lebens bisher und dies mit Freude, Humor und Respekt zu unterstützen, ist mir wichtig. Ich lebe in Berlin und Südschweden und arbeite in Deutsch und Englisch.

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